Die Friesen
Das Meer prägte die Geschichte der Friesen, die seit dem 6. Jahrhundert von ihren Stammsitzen westlich der Ems nach Osten bis zur Wesermündung vorgedrungen waren. Sie behaupteten eine völlige, auch sprachliche Eigenständigkeit gegen die Sachsen. Die fränkische Mission, vom Bistum Münster ausgehend, wirkte zunächst nicht sehr tief, die Eingliederung ins Frankenreich erfolgte im wesentlichen über den Handel. Friesische Tuche waren weithin gefragt, ein Exportartikel, der etwa in Köln ein Friesenviertel entstehen ließ. Schwer hatte der Stamm unter den Einfällen der Normannen zu leiden, die im 9. Jahrhundert die wichtigste Handelsmetropole Dorestad (Wijk bij Duurstede) vernichteten.
Die fränkische Grafschaftsverfassung wurde von den selbstbewußten Friesen im 11. und 12. Jahrhundert weitgehend ausgehöhlt; sie bot fremden Herren, selbst dem Bischof von Münster, keine Möglichkeit der Territorialisierung. Die friesische Freiheit, selbstbewußt gegen die andersartige Welt der gepanzerten sächsischen Ritter abgegrenzt, war eine großbäuerliche, genossenschaftlich geprägte Freiheit, die sich, ohne größeren staatlichen Zusammenschluß in einzelne Bauernrepubliken zerfallend, der Nordseeküste entlang ausdehnte. Fürsten sahen hier eine verlockende Möglichkeit, das eigene Gebiet zu vergrößern. Nach zwei schlimmerweise als Kreuzzüge deklarierten Kriegen waren 1234 die Stedinger dem Bremer Erzbischof und dem Oldenburger Grafen unterworfen, die Bremer Kirchenfürsten hatten dann Kehdingen, das Alte Land und schließlich 1524 das Land Wursten ihrer Herrschaft unterworfen. Der Oldenburger Graf vermochte nach langen Wirren in Konkurrenz mit den Bremern dann 1529 Butjadingen an sich zu bringen. Von Glück noch konnten die Bauern des Landes Hadeln sagen, daß sie im 13. Jahrhundert unter die Herrschaft des schwachen Herzogs von Sachsen Lauenburg fielen: Sie bewahrten ihre genossenschaftlich geprägte Eigenständigkeit bis tief ins 19. Jahrhundert.
Gegen alle Territorialisierungsversuche hatten die Ostfriesen ihre Freiheit behaupten können. Erstaunlich stark erwies sich die sogenannte Konsulatsverfassung gegen äußere Feinde, eine Verfassung der gewählten "Redjeven", der "consules". Die Gemeinsamkeit der einzelnen so regierten Länder, in die das mittelalterliche Ostfriesland zerfiel, erwies sich in jährlichen Zusammenkünften beim Upstalsboom (4 km sw Aurich), zeigt sich etwa noch 1328 in der berühmten Siegelumschrift "sigillum totius Frisiae", Siegel des ganzen Frieslands. So widerstandsfähig sich die Konsulatsverfassung nach außen hin erwies, so anfällig war sie gegen innere Erosion durch die Machtansprüche allzu reich gewordener Geschlechter, die, eine eigene Klientel bildend, die genossenschaftlichen Strukturen seit dem 14. Jahrhundert veränderten. Es hebt die Zahl der Häuptlingsherrschaft in Ostfriesland an. Diese Häuptlinge sitzen in Steinhäusern, burgenähnlichen Befestigungen, deren Anlage nach altem friesischen Recht eigentlich verboten war. Solche festen Sitze – in Groothusen gab es gleich drei davon – sind Ausdruck fehdereicher Wirren, brutaler Machtkämpfe, in denen sich schließlich die Familie der Cirksena als die dominierende behauptete und von ihrem Stammsitz Greetsiel ihren Einflußbereich auf ganz Ostfriesland und das sich immer stärker entwickelnde Emden ausdehnte. Ein kaiserlicher Lehnsbrief von 1464 erhob Ulrich I. in den gefürsteten Grafenstand, gab seiner Herrschaft eine neue, reichslehensrechtliche Grundlage. Diese Einbeziehung ins Reich – die Edzard I. Cirksena (1491–1528) zu langwierigen Kämpfen zwang, um sich gegen vom Kaiserhof favorisierte Rivalen zu behaupten – bedeutete zugleich einen Verlust an Eigenständigkeit, der sich auch darin ausdrückt, daß die eigene friesische Sprache seit dem 15. Jahrhundert immer stärker vom Niederdeutschen zurückgedrängt wird.